Artikel in der Langenhorner Rundschau




Von Thomas Kegat

Magrit Kopf ist eine kleine, schlanke Frau und öffnet zur Begrüßung entschlossen die Tür des Hauses, in dem sie seit 42 Jahren wohnt. Wir sind nicht weit weg vom Langenhorner Markt, hier haben sie und ihr Mann sich eine kleine Oase geschaffen und drei Söhne großgezogen, inzwischen alle aus dem Haus, zum Teil in die weite Welt.

Das Quilten

Sprechen wollen wir mit Magrit Kopf über ihr künstlerisches Schaffen. Sie quiltet. Mehr als ihr halbes Leben lang schon. Ihre Werke waren regelmäßig auf internationalen Ausstellungen. Nun liegen sie sauber aufgerollt bei ihr auf dem Schrank und unter ihrem Bett. Auch schmücken sie Häuser und Wohnungen, dort an den Wänden hängend wie Gemälde oder Wandteppiche. Oder in Form von Tagesdecken, Spieldecken, Schoßdecken, ja sogar Kissen. Und als Paramente in der Erlöserkirche in Farmsen.

Erste Lektion: Ein Quilt ist kein Kilt und wird auch nicht so ausgesprochen! Klar, das erste wissen wohl die allermeisten, ich auch. Doch bei der Phonetik lag ich falsch. Man lernt nie aus: Der Quilt klingt sowohl im Englischen als auch im Deutschen so, wie wir gemeinhin das Q mit dem U verquirlen.

Zweites Learning: Patchworken und Quilten (to quilt: steppen (i.S.v. nähen) sind nicht dasselbe! Ein Quilt beinhaltet sehr häufig eine Patchwork-Arbeit, dies ist aber kein Muss. Beim Patchworken werden kleinere, oft ganz verschiedenartige und oder -farbige Stoffstücke zu einem größeren zusammengenäht. Das Quilten ist die Technik des Nähte-(in-Szene)-Setzens. Drei Lagen Stoff werden kunstvoll miteinander versteppt zu einem flächigen, wärmenden und/oder dekorativen Gebrauchs- oder Kunstgegenstand.

Die Pionierin

12 Monate lang war ihr Mann Ende der Siebziger Jahre aus dienstlichen Gründen in den USA. Seine Familie begleitete ihn. Und dort ist die heute 75jährige Magrit Kopf erstmals mit dem Quilten in Berührung gekommen. Dieses spezielle Nähhandwerk wurde zwar einst in Asien erfunden, kam dann aber über Europa über den Atlantik in die Neue Welt. Dort war das Quilten von besonderer, teils existenzieller Bedeutung, denn, so Magrit Kopf, Nordamerika war damals noch unter Kolonialherrschaft, und die Herstellung von Tuchen und Stoffen dem Mutterland England vorbehalten. So wurde jeder kleine Stoffrest, der irgendwo abfiel, sorgsam gesammelt und per Patchwork verarbeitet. Die Tuchstückchen wurden nicht beliebig aneinandergenäht, sondern es entstanden durch planvolle Stoffauswahl, Anordnung und Nahtsetzung feinste Alltagskunstwerke. Dies war zu Zeiten, als es für Frauen undenkbar war einer Tätigkeit nachzugehen, bei der nicht die Nützlichkeit im Vordergrund steht, eine willkommene Gelegenheit, sich auch künstlerisch auszudrücken. Und auch der soziale Aspekt spielte eine Rolle. Denn man quiltete gemeinsam, tauschte sich aus, half einander. So ist es in den USA manchmal noch heute.

Dass man auch in Langenhorn über das Quilten ins Gespräch kommen kann, ist zum Teil ein Verdienst von Magrit Kopf. Sie etablierte mit einigen Frauen den Langenhorner Patchwork-Stammtisch im Bürgerhaus Langenhorn. Dort findet jeden letzten Mittwoch im Monat um 17 Uhr ein "Show and Tell" statt. "Unsere Teilnehmerinnen erzählen etwas über ihre aktuellen oder geplanten Arbeite und welche Gedanken dahinterstehen. Jede und jeder Interessierte ist herzlich eingeladen."

Solche Treffpunkte sind in den USA fester Bestandteil der Quilt-Kultur. Und die hat es Magrit Kopf angetan! So hatte sie nach ihrem USA-Jahr nicht nur drei selbstgefertigte Quilts im Gepäck, sondern große Lust, sich auf dem Gebiet weiterzubilden. Fingerfertig und geschickt in Handarbeiten war sie schon immer gewesen, auch ihr erlernter Beruf als Schaufenstergestalterin ("bei Karstadt in Wandsbek") ist dafür Ausweis. Sie stellte Anfang der Achtziger Jahre fest, dass in Deutschland gerade eine kleine Patchwork- und Quilt-Szene im Entstehen und Wachsen war - und wurde kurzerhand ein Teil davon. Sie belegte Kurse und gab bald darauf selber welche. Sie besuchte Ausstellungen - und beschickte sie nur wenige Jahre später mit eigenen Werken, im Inland, in Europa und in den Vereinigten Staaten. Sie kümmerte sich um die Familie - und wurde so ganz nebenbei zu einer freischaffenden Künstlerin. "Ich nenne mich "Textilgestalterin". Und "nebenbei" ist eigentlich das falsche Wort", rückt Magrit Kopf gerade. Das Quilten wurde in gewisser Weise zu ihrem Beruf. Sie gab fast 30 Jahre lang Kurse, erst an der Evangelischen Familienbildungsstätte, später an der Volkshochschule Hamburg-Ost. Dabei ging es um das Quilten von Hand, später dann auch unter zu Hilfenahme von Nähmaschinen ("beides hat seinen Reiz, die von Hand gesteppten Quilts wirken aber oft lebendiger"), auch Kurse zum Stoffeinfärben hat sie gegeben. "Wenn man seine Stoffe selber färben kann, sind die künstlerischen Möglichkeiten einfach deutlich größer", ist Kopf überzeugt.

Die Künstlerin

Immer wieder springt unsere Gastgeberin energiegeladen auf, zeigt einige extra bereitgelegte Quilts, um die verschiedenen Techniken und Motive vorzuführen. Spürbar wird, dass sie unterscheidet zwischen jenen Quilts, die sie im Rahmen der von ihr geleiteten VHS-Kurse gefertigt hat und denen, die für Ausstellungen gedacht waren: Ein auf den ersten Blick besonders faszinierendes Stück hängt in ihrem Flur, es ist vielleicht nur einen Viertelquadratmeter groß, lebt aber von kunstvoll gezogenen Nähten und feinen Höhen- und Volumenunterschieden der einzeln durch die Nähte voneinander abgegrenzten "Felder". "Ach, das habe ich mal in einem Kurs gemacht", sagt sie darüber nur - und man kommt sich als ebenso unkundiger wie beeindruckter Betrachter noch mehr wie ein Banause vor. Doch dann blättert Magrit Kopf eine norwegische Fachzeitschrift auf, in der eine Reihe ihrer künstlerischen Arbeiten vorgestellt wurden. Die Farben, das Leuchten der nordischen Naturlandschaft waren ihre Inspiration (auf Fotos festgehalten) - und es ist verblüffend, wie gut es Kopf mit ihren Quilts gelungen ist, diese Landschaften einerseits geometrisch zu abstrahieren und andererseits farblich hochpräzise nachzuempfinden!

Die Gefühle

Ein gewisser Stolz auf das Erschaffene schwingt in solchen Momenten bei Magrit Kopf durchaus mit, auch wenn sie es nicht direkt sagt. Das Funkeln in ihren Augen spricht für sich. Doch damit nicht genug: Die schönste aller Emotionen tritt kurz darauf zu Tage, nämlich die Liebe. Denn da stehen wir an einer Sofalehne, zwei sorgfältig zusammengelegte Quilts liegen darüber. Magrit Kopfs Stimme erwärmt sich, zärtlich streicheln ihre Hände über den Stoff. "Die werde ich meinen Enkeln mitbringen, da können sie drauf spielen" verrät sie. Ein Quilt stehe für Schutz, Wärme, Geborgenheit, macht Magrit Kopf energisch klar. In ein paar Wochen wird sie in die USA reisen und ihren Sohn und seine Familie besuchen. Ebenso persönlich geht es weiter, denn noch jemand wartet in den USA auf sie: Magrit Kopf erzählt von ihrer sehr guten Freundin Carol, die aus den Staaten stammt, genauso Quilt-begeistert ist wie Kopf, die trotz der gewaltigen Weite des Landes zufällig in relativer Nähe zu Kopfs Sohn wohnt und die sie einst an einer Bushaltestelle in Heidelberg (!) kennengelernt hat. Carol und sie wollen gemeinsam ein "Retreat" absolvieren und dort gemeinsam quilten; das ist eine wichtige Sache für Magrit Kopf, denn man lernt bei solchen intensiven Treffen wieder eine Menge dazu, über die anderen, über die gemeinsame Kunst und über sich selbst. Aber, so Kopf, so etwas erfordere Planung und Vorbereitung und sie müsse und wolle sich noch überlegen, was sie selbst zu geben, einzubringen habe, sprich: eine Idee, eine besondere Technik, ein Motiv - "das wird noch Arbeit für mich."

Und dann kommt das traurige Wort vom Abschied. Magrit Kopf sagt, es werde wahrscheinlich das letzte Mal sein, dass sie und ihre Freundin gemeinsam so einen Quilt-Workshop besuchen. Denn Carol ist bereits ein paar Jährchen älter als Magrit und nicht mehr ganz gesund. "Die Fahrt mit dem Auto dauert mehrere Stunden, das ist für sie sehr anstrengend, man benötigt außerdem einiges an Ausrüstung, unter anderem die Nähmaschine, das muss Carol alles für mich in den Kofferraum laden, ich kann das ja nicht von Deutschland aus mit dorthin nehmen", listet Kopf die Sachargumente auf. Und, nach einer kleinen Pause: "Außerdem ist so eine Reise inzwischen für uns Europäer sehr teuer geworden, auch das will gut überlegt sein."

Zum Schluss

Unser Interview ist für Magrit Kopf spürbar ein zusätzlicher Anlass, bezüglich ihres künstlerischen Schaffens Zwischenbilanz zu ziehen und auch schon mal den einen oder anderen Gedanken ans selektive Loslassen zu bewegen. Zum Abschluss ihrer beruflichen Zeit hat sie noch einmal einen ihrer beliebten Wochenkurse gegeben, im Sommer 2020. Viele treue Seelen wollten sich mit ihr auf dem Scheersberg treffen, sich Inspirationen in der Natur holen und einen schönen Quilt zusammen gestalten. Doch Corona machte einen dicken Strich durch die Rechnung. "Ausgefallen ist der Kurs trotzdem nicht. Wir haben das dann on-line durchgeführt", berichtet Magrit Kopf mit einer Mischung aus Trotz, Stolz und einem Hauch Verblüffung. Ein mit Hilfe Ihres Mannes ausgesprochen sorgfältig und liebevoll erstelltes Fotobuch dokumentiert die Lerninhalte und die wirklich sehr sehenswerten Arbeitsergebnisse des Workshops. Kopf blättert nachdenklich in dem Buch und man stellt sich eine mögliche Idee vor: Etwas in dieser Art wäre vielleicht auch etwas, um Magrit Kopfs Leidenschaft und Kunst auf kompakte und strukturierte Weise zu bündeln und zu sichern. Für später, im Alter, oder auch für die Nachkommen. "Ich müsste einfach alles einmal durchgehen, ordnen und dabei auch das eine oder andere aussortieren." Man müsse sich bei all den gesammelten Materialien ganz nüchtern die Frage stellen "Was davon brauche ich noch? Und was werde ich nie wieder tun?". Diesen Fragen nachzugehen, sei nur sinnvoll und rational: "Schließlich gibt es eine ganze Menge, das ich noch machen will."

Wie viele Quilts sie bisher erschaffen hat, weiß Kopf selbst nicht, sie hält sich mit Zahlen zurück. Etwas über 100 aber werden es schon sein, lässt sie sich vage entlocken. Große Lust hätte sie darauf, einmal eine Ausstellung ihrer wichtigsten Werke zu veranstalten "auch so etwas kann ja ein schöner Abschluss sein.".

Die Politik

In ihren Kursen und Workshops wurde natürlich nicht allein über Handarbeiten gesprochen. Auch aktuelle gesellschaftliche Themen haben Magrit und ihre Teilnehmerinnen am Wickel gehabt. "Schon in den 90er Jahren habe ich bei einer Reise in die Vereinigten Staaten gesehen: Alle kommunizieren jetzt über E-Mail, nutzen das Internet. Also habe ich mich selbst auch damit beschäftigt und meine Damen erfolgreich dazu ermuntert, es auch zu tun." Auch politische wurde es: Eine Kursteilnehmerin war seinerzeit aktive Sozialdemokratin, und Magrit Kopf hat das imponiert. Sie fand es wichtig, sich für Gerechtigkeit und das soziale Miteinander einzusetzen. "Jetzt erst Recht", dachte sie sich am Abend einer verlorenen Bundestagswahl und trat ebenfalls in die SPD ein. Dort wurden Frauen besonders gefördert, es gab ein spannendes Mentoringprogramm. Kopf besuchte viele Veranstaltungen und engagiert sich komplett ehrenamtlich in der Arbeitsgemeinschaft 60 plus im Kreis Hamburg-Nord und im Hamburger Landesverband. Auch auf Infoständen im Stadtteil ist sie zu finden, hat aktiv Wahlkämpfe für Olaf Scholz und Dorothee Martin mitgemacht, sich für Angebotsverbesserungen im ÖPNV eingesetzt und sich sehr über den Erfolg gefreut. "Die Seniorenkarte gilt nun auch schon vor 9 Uhr". Eine Tugend, die sie aus ihrer Kunst mitbringt, hilft ihr auch in der Politik weiter: "Man braucht Geduld mit sich und mit anderen. Schöne Ergebnisse fallen nicht vom Himmel. Aber mit Beharrlichkeit und der Fähigkeit, Ideen reifen und wachsen zu lassen, kann man gute Ziele erreichen."

Alle Fotos einschließlich Titelbild: Claus-Dieter Schmuck-Hinsch

Last changed: 27-Jan-2023, © Magrit Kopf